Karl August Varnhagen von Ense in Bad Homburg
Im Jahr 1844 war es, da begab sich ein recht bekannter in Düsseldorf geborene Erzähler, Biograph und Diplomat auf die Fahrt nach Bad Homburg. Es war Karl August Varnhagen von Ense. Er war inzwischen seit elf Jahren Witwer, seine Frau Rahel Varnhagen von Ense, geb. Levin war im Jahr 1833 gestorben. Sie war eine berühmte deutsche Schriftstellerin und Salonnière gewesen. Im Salon von Rahel in Berlin gingen Berühmtheiten wie Jean Paul, Ludwig Tieck, Friedrich von Gentz, Ernst von Pfuel, Friedrich Schlegel, Wilhelm und Alexander von Humboldt, Friedrich de la Motte Fouqué oder auch Prinz Louis Ferdinand stets ein und aus.
Rahel Varnhagen von Ense war 1771 als Rahel Levin geboren worden und 14 Jahre älter als ihr Mann, der sie bewunderte und die Kontakte mit Dichtern, Staatsmännern und Denkern seiner Zeit genauso schätzte wie seine Frau. Auch als sie verheiratet waren und wieder in Berlin lebten blieb ihr Haus diesen Männern stets offen. Die Familie Mendelssohn, Heinrich Heine, Eduard Gans, Ludwig Börne und der Fürst Hermann von Pückler-Muskau waren gern gesehene Gäste und man selbst besuchte den Geheimrat Goethe in Weimar, schließlich hatte Karl August Varnhagen von Ense auch nicht unwesentlich Anteil an der Karriere des Dichters gehabt.
59 Jahre alt war Karl August Varnhagen von Ense inzwischen, als er in diesem Sommer des Jahres 1844 zu einer Bäderreise aufbrach, die ihn auch nach Bad Homburg führte. Sein Tagebuch gibt beredte Auskunft darüber, was er in diesem damals noch recht neuen, aber dennoch schon mondänen Kurbad vorfand und erlebte. Und seine Tagebucheinträge zeigen deutlich, wie sehr das Kuren und die Bäderreisen Mitte des 19. Jahrhunderts eben nicht im eigentlichen Sinne nur der Erholung und der Gesundung dienten, sondern vor allem auch dem gesellschaftlichen Austausch und der großen Politik.
Inhaltsverzeichnis
Ankunft in Bad Homburg
Karl August Varnhagen von Ense kam am Montag, den 8. Juli 1844 zum ersten Mal in seinem Leben nach Homburg und irgendwie erweckte es gleich den Eindruck als stehe sein Besuch dort unter keinem guten Stern:
Homburg, Montag den 8. Juli 1844
„Vormittags um zehn in Homburg angekommen. Die letzte Station hat gegen sechs oder sieben Schlagbäume, man zahlt unaufhörlich Chausseegeld, großes und kleines, es ist als ob die hessischen Fürsten von diesem Notpfennige leben müßten, man verwünscht sie und ihr zerstückeltes Land! Ungeachtet der bestellten Wohnung hatte ich große Schwierigkeiten und Zögerung hinsichtlich derselben, sie war noch benutzt und der Mietpreis nicht vorher bestimmt. Bei Westerfeld, dem Englischen Hofe schräge gegenüber. Ich besah mir die Örtlichkeit; das Kurhaus, nah und schön gelegen, ist in gutem Stil, mit Pracht und Geschmack eingerichtet, hat schöne Säle, nach dem Garten eine herrliche Terrasse, aber die Gesellschaft, die sich hier versammelt, fröhnt nur dem Spiel, dem verfluchten Spiel, das alle Gauner und Tagediebe der Umgebung anzieht; ich sah keinen vornehmen Mann am grünen Tische, lauter Galgengesichter. Ich ging im Kurgarten umher, dann durch die Stadt nach dem Schloßgarten, stieg im Schlosse zwei Treppen hinauf zum Landgrafen, fand aber niemanden, der mich hätte anmelden können. Nun wollte ich auch die Brunnen gern sehen, ging durch die Stadt zurück und durch den Kurgarten in der angewiesenen Richtung. Die Brunnen sind weiter entfernt als ich es je gedacht; für mich sind sie in bestem Wetter kaum erreichbar, in schlechtem für mich wie aus der Welt. Indes will ichs versuchen.“
„… aufs Schloß und mich beim Landgrafen melden„
Wenn man schon in Bad Homburg ist, dann sollte man auch gleich zum Landgrafen gehen, zumindest wenn man Karl August Varnhagen von Ense ist. Dumm nur, wenn der Landgraf grade nicht da ist:
Homburg, Mittwoch den 10. Juli 1844
„Gegen elf Uhr aufs Schloß und mich beim Landgrafen melden lassen; freundlichster Empfang, gute Aufnahme der Wünsche der Prinzessin Wilhelm, aber wenig Aussicht zu deren Erfüllung; Nachricht, daß General Graf von Wallmoden heute noch auf eine Stunde hier eintreffen wird, von Frankfurt her, auf der Rückreise von England nach Mailand; Mittheilungen des Landgrafen über seinen Bruder Friedrich Joseph, über seine andern beiden noch lebenden Brüder, er zweifelt, daß ich dem einen hier anwesenden die Grüße der Schwester werde bestellen können, derselbe lebe hinter vier verschlossenen Thüren und sehe niemanden, schon als Brigadier in Ungarn habe er so gelebt, sei immer auf der Jagd gewesen und habe mit keinem Menschen Umgang gehabt, als mit den Räubern in den nahen Waldungen; Mittheilungen über Sinclair, den er sehr rühmt, er wurde mit den Prinzen erzogen, wurde von den Lehrern immer belobt, a geist war er stärker als alle, aber an Körper schwächer, und in den Spielstunden mußte er die Vorzüge, die er in den Lehrstunden genossen, oft empfindlich büßen. Der Landgraf erwähnt mancher Umstände aus meinen „Denkwürdigkeiten“, und zeigt, daß er sie aufmerksam gelesen, er sagt mir viel Rühmendes darüber, findet das, was er miterlebt, nach der Wahrheit geschildert.
Nachmittags auf der Terrasse eine Tasse Kaffee getrunken. – Ich ging lange hin und her, setzte mich endlich auf eine Bank, las etwas in Lermontoff, aber die Sonne blendete zu sehr. Ich überließ mich den Eindrücken des Wetters, der Sonne, des Rauschens der Blätter. Tausend Bilder der Vergangenheit strömten mir zu, ich bin der wahre Epimetheus, mich erdrückt die Fülle herrlicher Erinnerungen, und Pandora’s Wiederkunft ist mein Sinnen und Sehnen! Diesmal übernahmen mich die Erlebnisse des Wiener Kreises, das Jahr 1809 und die nächstfolgenden; der damalige Prinz Philipp von Hessen-Homburg, welche anmuthige Erscheinung, und jetzt als regierender Landgraf wie alt, wie verfallen, wie einsam in dieser seiner Residenz! Neipperg, Bentheim, Borel, Gentz, die Gräfin von Fuchs, Nugent, alles dahin! Ich dachte so lebhaft der einzelnen Vorgänge, was damals grade wichtig war, worin das Leben sich gefiel, welche Aussichten, welcher Ehrgeiz, welche Wünsche dem Einzelnen vorschwebten, was mich damals so mächtig erfüllte – Rahel, die einzige, mir durch nichts in der Welt je verdunkelte Rahel! – Die Sonne schien brennend auf das einsam gewordene Kurhaus, auf die Orangenbäume, den grünen Rasen, die im Wehen der Luft hinschwankenden Blumen. Der Sonnenschein hat in seiner Heiterkeit etwas tief Schwermüthiges, ich finde das von je. Einen Augenblick duckte die Sonne, und eine dunklere Färbung lag auf allen Gegenständen, die Gegenwart brannte gleichsam weniger hell, und gegen diese Gedämpfheit stach nun auch die Vergangenheit minder ab. Dieselben Vorstellungen, wie vorher, gingen mir durch den Sinn, allein die veränderte Beleuchtung hatte auch sie verändert, sie waren minder schmerzhaft, minder trostlos, und daß ich sie in mir nicht hatte erlöschen lassen, war mir lieb.“
Varnhagen von Ense und die Meinung über Preußen
Da kommt endlich mal ein Prinz zu Besuch, der sonst nie vor die Türe geht und was passiert? Karl August Varnhagen von Ense ist nicht da – ärgerlich:
Homburg, Dienstag, den 16. Juli 1844
„Der Prinz Ferdinand von Hessen-Homburg wollte mich besuchen; die Leute sagen, das sei ein Wunder bei seiner Leutescheu! Dafür wird er denn nun wohl das Glück haben, mich nicht zu sehen! – Die Krankheit der Gräfin von Naumburg dauert noch fort.
Unter den Nachrichten aus Berlin sind mir aufgefallen die nun vom Könige erlassene Ehescheidungsverordnung, ein Bodensatz des verunglückten Savigny’schen Gesetzentwurfs, voll Schwierigkeiten und Verwirrungen, eine Schrift des Fürsten von Lynar wider das unbesonnene Börsengesetz, und die Ernennung des Schülers von Ranke, Doktors Siegfried Hirsch, zum Professor in Berlin.
Ueber Preußen und insbesondere über unsern König hört man hier nur nachtheilige, gehässige Urtheile, und die Meinung, daß wir großen Krisen entgegengehen, ist allgemein.“
“ … über Mangel der Einrichtungen nicht zu klagen“
Offenbar brauchte Karl August Varnhagen von Ense ein paar Tage, um mit Bad Homburg warm zu werden. War sein erster Eintrag so negativ, dass man glauben mochte er wolle direkt wieder abreisen, so ändert sich dies langsam und er beginnt offenbar sich in Homburg wohl zu fühlen:
Homburg, Donnerstag, den 18. Juli 1844
„Uebrigens ist hier über Mangel der Einrichtungen nicht zu klagen, alles zeigt, daß man in der Mitte altgegründeter und stets neubelebter Kultur ist. Achtmal kommt und geht die Post nach Frankfurt, die Berliner Zeitung vom Montage ist Mittwoch Abends hier, alle Lebensmittel und Waaren sind in Fülle zu haben, die Leute wissen von allen Dingen, in den Gasthöfen sprechen die Aufwärter verschiedene Sprachen; zu dem kommt der Geschmack in Bauten und Gartenanlagen, besonders auch die Freigebigkeit der Spielpächter Gebrüder Blanc, welche alles, was man in andern Bädern bezahlen muß, umsonst geben, als Musik, Lesekabinet, Bälle. Das Pachtverhältniß ist eigen gestellt; sie haben das Kurhaus erbaut und fürstlich eingerichtet, den Garten angelegt, sie sirgen für die Brunnenpflege, die Wege, alles ist vortrefflich gehalten; dafür haben sie die Spieltische, die jetzt auch zur Winterzeit nicht feiern; sie zahlen an den Landgrafen bei dreißigjährigem Kontrakt in den ersten zehn Jahren jährlich 3000 Gulden, in den zweiten zehn Jahren jährlich 5000, und in den letzten zehn jährlich 10,000, nach dreißig Jahren aber gehört alles dem Landgrafen und der Kontrakt hört auf.“
Louis quatorze von Homburg
Varnhagen von Ense und ein Gespräch mit dem Landgrafen über den berühmten „Prinzen von Homburg“:
Homburg, Freitag, den 19. Juli 1844
„Der Prinz und die Prinzessin von Preußen sind gestern Abend angekommen; sie wohnen beim Doktor Trapp. Die Prinzessin wird hier still und einsam bloß der Kur leben. Der Prinz reist am Dienstage wieder ab, wohin, wird noch nicht gesagt, sogar noch nicht gewußt; ein Feldjäger soll am Dienstag die Befehle des Königs bringen, für welche dreierlei Möglichkeiten offen liegen; welche das seien, darf Königsmarck nicht sagen. Ich versetze scherzend: „Aber Sie nehmen es mir nicht übel, wenn ich das Geheimniß etwa morgen in der Frankfurter Zeitung lese?“ Er sagt darauf ganz ernsthaft: „Dafür stehen will ich nicht!“ Und erzählt mir, wie die Reise oder vielmehr der Zweck der Reise des Prinzen als das tiefste Geheimniß behandelt worden, nur der Minister von Bülow habe darum gewußt, nicht Wittgenstein, nicht der Generaladjutant von Neumann, und beide seien vergebens mit Nachforschung bemüht gewesen, dann aber habe unvermuthet der König es ihnen gesagt! – Der König wird richtig nach Wien gehen, wie es die Zeitungen ausgeplaudert, auf drei Tage, während die Königin über Linz nach Ischl reist. Dann will der König eine Weile in Schlesien bleiben, und dort seine Rückstände aufarbeiten; nach Königsberg, zum Jubiläum der Universität, geht er nur auf Einen Tag. –
Eben verläßt mich der Landgraf, er war im größten Staat, weil er vom Prinzen und von der Prinzessin von Preußen kam. Etwa eine Stunde lang sprachen wir von allerlei Gegenständen, viel von hiesigen Sachen, dann besonders von russischen; er brachte mir auch seine erbetene Handschrift, in für mich äußerst verbindlichen Worten. Einladung das Schloß zu besehen, Merkwürdigkeiten von dem Prinzen von Hessen-Homburg, der in Rußland gedient und in „Keith’s Leben“ vorkommt, Merkwürdigkeiten von dem, der bei Fehrbellin die Schlacht einleitete, – er hatte früher in schwedischen Diensten gestanden und vor Kopenhagen ein Bein verloren, war zuerst mit einer Gräfin Brahe verheirathet, die ihm viel Geld zubrachte, dann mit einer Prinzessin von Kurland, durch die er mit dem großen Kurfürsten verwandt wurde; dieser schätzte ihn sehr und dankte ihm lebhaft den Sieg von Fehrbellin; er zog sich aber später nach Homburg zurück, baute hier das Schloß „war der Louis quatorze von Homburg“, kaufte mit dem Brahe’schen Gelde Güter in Magdeburg und Halberstadt, die noch im Besitze des Landgrafen sind; er erlebte noch die Thaten Karl’s des Zwölften von Schweden, und war so begierig, diesen Helden zu sehen, daß er deßhalb nach Alt-Rannstädt reist, wo derselbe sein Hauptquartier hatte; ein paar Monate nachher starb er.
Abends auf der Terrasse. – Im Spielsaale mit Kommerzienrath Josua Hasenclever auf und ab. Er machte mich aufmerksam, daß der Prinz von Preußen eingetreten sei und noch an der Thüre stehe, den Saal zu überschauen. Als der Prinz mich erblickt, kam er auf mich zu, that die gewöhnlichen Fragen, Königsmarck stellte Hasenclever vor, den der Prinz aber schon gut kannte; wir sprachen wohl eine Viertelstunde zusammen, da trat die Gräfin Kisseleff hervor, die schon lange peinlich harrte, der Prinz sprach einiges mit ihr, wandte sich aber dann wieder zu uns, die Reisen des Königs, das Jubiläum der Universität Königsberg und die Industrie-Ausstellung zu Berlin waren die Hauptstoffe der Unterhaltung, bei der kein erhebliches Wort vorkam, – nur eine Bemerkung des Prinzen, der gegen Hasenclever im Scherz den Vorwurf erhob, die Rheinländer wären so unartig gewesen, und hätten anfangs nicht theilnehmen wollen an jener Ausstellung, dafür gebührte ihnen wohl eine Züchtigung, – wobei er den Stock drohend bewegte, freilich im größten Scherz, aber Ton und Gebärde geriethen ihm zu stark, und ich erschrak etwas darüber; Hasenclever nahm die Sache leicht, sagte, der Vorwurf beruhe doch größtentheils auf Mißverstand, und erzählte, wie sich grade rheinländische Fabrikanten vereint, jene Ausstellung reichlichst zu beschicken.“
Bad Homburg, die Römer und der Weiße Turm
Bad Homburg liegt nur unwesentlich entfernt vom Römerkastell Saalburg und überall finden bis heute römische Überreste. Da lag es nahe, dass auch Karl August Varnhagen von Ense dies nicht verborgen blieb und er sich so seine Gedanken über die Nachwirkungen der römischen Herrschaft machte. Interessant ist, dass Varnhagen von Ense einen großen Unterschied sieht zwischen Regionen in denen die Römer einst herrschten und denen, die sie nie betreten haben:
Homburg, Sonnabend, den 20. Juli 1844
„Schukoffsky, der für den Sommer in Sachsenhausen ein Gartenhaus gemiethet hat, und mit Frau und Kind und seinem Schwiegervater von Reuter bewohnt, hat mich durch einen jungen Russen grüßen lassen und will mich besuchen. Freiligrath will aus Kronthal, Hoffmann von Fallersleben aus Soden kommen; alles ganz in der Nähe, Fahrten wie von Berlin nach Charlottenburg.
Sie wenden hier zum Bauen einen schönen rothen Sandstein an, der geglättet sich wie Marmor ausnimmt. Der Fürst Lichnowsky sagt in seiner Reise von Portugal, es sei ihm dort ein solches Gestein aufgefallen, ganz ähnlich dem, das in Homburg bricht. Darin irrt er jedoch, er hat den Stein hier gesehen, aber derselbe bricht nicht hier, sondern in Würzburg. So kommt auch das Bauholz nicht aus dem Taunus heirher, sondern aus dem Speßhart. – Die Ueberbleibsel der römischen Kastelle in hiesiger Gegend und besonders des Pfahlgrabens würden mich sehr anziehen, wenn ich solchen Reizen entsprechen könnte. – Der freistehende Thurm vor dem Schlosse hier ist in seinem untern Theil auch römisch. Man hat zuverlässig ein andres Geschichtsgefühl in Ländern, die von den Römern besetzt gewesen, und ein andres in solchen, die, wie das Spreeland, von ihnen nicht berührt werden.
Besuch des Herrn Agenten Bloch. Er spricht heftig gegen das erlassene Börsengesetz, und versichert, der König sei voll zorniger Reue, daß er es unterschrieben; er tadelt unsre Finanzmaßregeln, in denen weder Plan noch Richtung sei, tadelt die starken Ausgaben, sieht den Untergang unsres Staatskredits vor Augen, bedauert den Gang der Dinge, die zunehmende Auflösung etc.“
Varnhagen von Enses gute Gespräche
Varnhagen von Ense schätzte an seinem Aufenthalt in Bad Homburg ganz offensichtlich vor allem due guten Gespräche. Viele Freunde und Bekannte von Varnhagen von Ense kamen ihn besuchen:
Homburg, Sonntag, den 21. Juli 1844
„- Nachmittags die Terrasse und er Kurgarten überfüllt mit Frankfurtern, auch mit Homburgern, die geputzt den Sonntag feiern. Ich saß eine Weile mit Cartwright und Barclay, ging dann mit Hasenclever über eine Stunde spaziren; er erzählte mir, daß er ein langes Gespräch mit dem Prinzen von Preußen gehabt, der ihm als einem Mitgliede der Provinzialstände vieles zum Herzen gesprochen, die Uebergriffe des rheinischen Landtages sehr getadelt habe; Hasenclever‘s Versicherung, man dürfe nur nicht am guten Willen zweifeln, der fehle nicht, nahm er sehr gut auf; die Frage, welches denn die Gränze sei zwischen den Dingen, welche die Provinz angehen, und denen, welche den Staat betreffen, versetzte ihn in einige Verlegenheit, er meinte, streng lasse sich diese Gränze nicht ziehen, sie müsse praktisch erfahren werden an den Sachen, die ihnen der König abschlage, worauf Hasenclever die Achseln zuckte. Der Prinz sagte auch, man müsse nur die Revolution nicht fürchten, dann käme sie nicht; allein man glaubt allgemein, der Prinz hege diese Furcht, und demnach müßte die Revolution kommen! Der Prinz betheuerte noch, daß er durchaus nicht Opposition machen wolle, daß er als erster Unterthan auch zuerst gehorche, und dgl. mehr. Hasenclever bedauerte, daß man in Berlin die Rheinländer immer nicht verstehe, bei allem gleich empfindlich werde u. s. w. Wir sprachen dann ausführlich über Konstitution, Preßfreiheit, Hof, Kirchenwesen, Adelsthum, Finanzen, ferner über Metternich, Gentz, Wilhelm von Humboldt, Stein, Hardenberg etc., wobei ich bekannte, sowohl in Konstitution als Preßfreiheit für jetzt gefahrvolle Gaben zu sehn, auf die ich indeß darum keineswegs verzichten wollte; man müsse nur wissen, wie die Sachen seien, wie man vom Krieg wisse, daß man dabei todtgeschossen werden könne, aber ihn dennoch mache. Es war ein auch mir lehrreiches Gespräch! Hasenclever hat auch dem Prinzen Dahlmann’s „Geschichte der englischen Revolution“ empfohlen, welche dieser noch nicht kannte; er selber war durch meine Anzeige in der „Allgemeinen Zeitung“ auf das Buch aufmerksam geworden, und hat es sich gekauft, dasselbe dann auch nebst meinen Schriften an einen Neffen nach Rio Janeiro gesandt!“
Angenehme Gespräche und die Begegnung mit Freiligrath
Homburg, Dienstag, den 23. Juli 1844
„– Mit mir gleichzeitig trafe die Prinzessin von Preußen am Brunnen ein. Beim ersten Begegnen hielt sie mich an, that einige Fragen, ging dann in eigne Betrachtungen über, rühmte die prächtige Vegetation, die Vorzüge dieser Gegenden, von denen man immer auf’s neue getroffen sei, – der Prinz sehe mit Neid das Gedeihen jeden Baumes hier an, und denke schmerzlich zurück, wie viel Zeit und Mühe es erfordere, daß bei uns etwas wachse, – sie hatte einen Shawl von violettem, blumendurchwirktem Seidenzeuge auf den Schultern, den ihr ein westphälischer Fabrikant hier zu Füßen gelegt, sie sah den Mann, rief ihn herbei, er solle sehen, wie sein Geschenk schon benutze; dann versicherte sie, sie freue sich noch, wie sie sich als Kind gefreut habe, und sie könne Gott nicht genug danken, daß er ihr diese Fähigkeit noch bewahrt, denn wenn man sich nicht mehr freuen könne, so u. s. w. Der Westphale bemerkte, an Anlässen dazu könne es ihr nicht fehlen; ich mußte etwas lachen, sie wollte dies gut machen, und versetzte gefühlvoll, im Innern freilich seien die Anlässe reichlich, aber im Aeußern kämen sie seltner, ihre Hauptfreude seien ihre Kinder, und Gott möge sie in ihnen ferner segnen; ihr Sohn mache jetzt eine Fußreise im Erzgebirge, ihr Töchterchen aber, das aus dem Fenster gefallen – sie habe noch immer einen Schreck bei der Erinnerung dieses glücklichen Unfalls, bei dem die Gnade Gottes so sichtbar gewaltet -, sei auf dem Lande, in Babertsberg, es sei ein etwas schwächliches Kind – nicht von jenem Falle her -, aber sonst doch wohl und munter. Ich antwortete nicht mehr, als eben nöthig war, mir war zu viel Gott in der Rede. Auch von Auswanderern, von Noth der Arbeiter, von Linderung derselben wurde gesprochen. Der Westphale hatte eine Denkschrift über die Auswanderer für den Prinzen eingereicht, der heute Abend wieder eintreffen soll. – Hierauf ging ich noch eine Weile mit dem Westphalen und dem Stadtrath Herrn Knobloch aus Berlin, dasselbe Thema von Noth, Fabriken, Handel wurde weiter besprochen; ich ging aber bald nach Hause.
Ich lese in deutschen Zeitungen, auf Anlaß der Grahm’schen Briefverletzungen, daß man sich beglückwünscht, in Preußen solche Gehässigkeit nicht zu fürchten zu haben, unsre Verwaltung davon frei zu wissen. Die Thoren lassen sich dergleichen einreden! und wollen Warnungen nicht achten! Grade dieser Glaube ist der Verwaltung erwünscht und man wird alles anwenden, um die Enttäuschung zu hindern. Mir aber redet man nichts ein, ich weiß die Sachen anders. Damit ist jedoch nicht gesagt, daß nicht Hunderttausende von Briefen ungelesen durchgehen, und bei Tausenden von gelesenen kein eigentlicher Schaden entsteht daher vertrau‘ ich diese Blätter unbedenklich der Post!
Nachmittags mit Hasenclever Kaffee getrunken, unter mancherlei Gesprächen, an denen ein Herr aus Köln Theil nimmt. Der Westphale, der diesen Morgen mit der Prinzessin sprach, heißt Diergart und ist aus Krefeld; er kannte mich von früherer Zeit.
– Ein andres Zwischenspiel machten drei Ankömmlinge aus Kronthal, Fräulein von Seefried brachte den Dichter Freiligrath und seine Frau mit; Mrs. Elliot begrüßte in ihnen alte Bekannte, ich neue. Freiligrath gefällt mir, ein ehrlicher, wackrer Mann, voll gesunder Kraft und geistiger Erregbarkeit, bei etwas knorrigem westphälischen Aussehen; die Frau ist voll Verstand und Lieblichkeit, eine geborne Melos, aus dem Weimarischen, von Goethe’n oft freundlich angeblickt. Mit Freiligrath hatte ich Unendliches zu verhandeln, er war nie in Berlin, hat seinen Freund Chamisso nie gesehen, und alles von dorther ist ihm wichtig! Rückert, Geibel, Bettina, Humboldt, Herwegh, Schelling, waren fruchtbare Themata, wir sprachen auch von Werder, Carriere und Rosenkranz, von Eichhorn das Nöthige. Freiligrath versicherte mich, der Dichter Uhland sei nicht in Homburg gewesen, sondern ein Namensvetter, der Irrtum habe sich bald aufgeklärt! Die Frau sprach über Weimar und dortige Verhältnisse treffend und fein, und benahm sich überhaupt mit anmuthiger Natürlichkeit, dem Mann ist in ihr ein wahrer Schatz geworden.“
Homburg, Donnerstag, den 25. Juli 1844
„Der Wunsch der Prinzessin Wilhelm, wegen der Briefe des Landgrafen Friedrich Joseph aus dem Türkenkriege, scheint doch Fortgang zu haben; es findet sich mancherlei. Mit aber wird die Sache fast schon ängstlich, man nimmt sie hier sehr ernst, und erwartet, wie es scheint, eine Reihe hessen-homburgischer Heldenbilder von mir, ja die Geschichte des ganzen Fürstenhauses würde man mir zu schreiben gern auferlegen. Ich wiederhole immerfort, daß ich keine Absicht, keinen Vorsatz habe, sondern auf den Wunsch der Prinzessin nur sehen will, was da ist, und was damit zu machen ist, daß ich mich zu gar nichts verpflichte etc. Die Gefälligkeit des Landgrafen kann ich nicht rühmen, ebenso den Eifer des Hauptmanns von Silber.“
Ein Attentat verdunkelt die Kur
Ein paar dunkle Tage schleichen sich während des Kuraufenthalts von karl August Varnhagen von Ense ein: es gibt ein Attentat auf den König, er wird fiebrig und dann geht ihm auch noch das „Brummen“ seines Nachbarn auf die Nerven:
Homburg, Sonnabend, den 27. Juli 1844
„- Noch immer fieberhaft du hinfällig.
– Ich habe auch politische Gedanken gehabt, und nicht eben tröstliche. Die schönste Zeit der Freiheit war, als diese in ihrer ersten Liebe stand, im Jahre 1789, in späteren Epochen wird sie kernhafter und dauerhafter gewonnen, aber schon mit dem Bewußtsein von Opfern und Täuschungen. Die Franzosen haben jenen frischen Duft und süßen Rausch vorweg; wir Deutschen werden dergleichen nicht wiederschaffen, wir trinken schon lange den zweiten Aufguß und am Bodensatze. Aber gewinnen werden wir doch alles, was die Franzosen haben, und mehr als sie, dafür bürgt unser Ueberfluß an Genie, an Bildung. Wie weit jedoch sind wir vom Ziele, und welche Zeiten wird es zu durchleben geben, wie vieles uns jetzt Geehrte, Heilige, Unentbehrliche, gar nicht Wegzudenkende wird zusammenstürzen! Die Weltgeschichte lebt in großen Zügen und hat ihr Bestes noch im Hinterhalt.
Der Prinz von Preußen ist heute Nachmittag abgereist; Königsmarck hatte zu Ganzmann gesagt, er werde mich noch besuchen, hat’s aber nicht gethan. – Das Geheimniß des Reiseziels werde ich also wohl erst aus den Zeitungen erfahren; es hätte mir nicht das Geringste genutzt, es schon in Berlin zu wissen!
Ich habe mit großer Anstrengung an Tettenborn geschrieben; gegen den Schluß besuchte mich – zum erstenmal – Herr Rubens, mir eine Nachricht aus Berlin mitzutheilen. Gestern sei hier, sagte er, eine telegraphische Depesche angekommen, daß in Berlin am Freitag auf dem Frankfurter Bahnhof, als eben der König und die Königin abreisen wollten, auf den König geschossen worden. Herr Kammerherr von Witzleben hat dies Herrn Rubens anvertraut, es ist aber auch schon in die Badegesellschaft gedrungen. Die Nachricht hat mich tief erschüttert. Ich will nur hoffen, daß die Tollheit eines Wahnsinnigen den Frevel begangen! Unerhörtes Ereigniß bei uns! Bei uns kein Boden für solcherlei. Wahnsinnig in jedem Fall! Wieder denkt man dabei zunächst an die armen Polen!
Der Landgraf hat mich schon fragen lassen, ob ich zum Essen käme, er wolle mir seinen Wagen schicken! Keine Möglichkeit, der Arzt verbietet es ausdrücklich.
Gestern war hier ein Konzert von den Herren Döhler und Piatti, das sehr besucht wurde, auch von der Prinzessin von Preußen. Heute soll wieder eine Musik sein; ich höre bloß die Vorübungen, denn der Violoncellist Piatii wohnt unter mir, und läßt seinen Baß mehr brummen, als mir und Bello’n lieb ist.
Morgen ist wieder Bal paré im Kursaal, und meine Einladungskarte hab‘ ich schon, aber Gottlob, sie hat mich nicht! Gesund und wie ein Fisch im Wasser ging‘ ich auch nicht hin.
– Nachdem * weg war, zog ich mich nochmals an, und machte wieder einen kleinen Gang durch den Kurgarten, neben Madame Marx und noch einer Dame; wir kamen an einer Bank vorbei, wo die Prinzessin von Preußen nebst Hofdame saß, Witzleben stand dabei; die Bank stand etwas vom Wege ab, die Prinzessin aber grüßte mit ausdrücklicher Beflissenheit freundlichst. Die Nachricht aus Berlin soll sie ungemein erschreckt haben, man sah ihr aber nicht mehr davon an. Wo der Prinz in diesem Augenblicke sein mag, weiß man nicht, man hat nach allen Richtungen Stafetten ausgesandt, ihn zu finden. – Die alte Frau von Riolle hat sich an meiner Thür eingefunden, um zu fragen, wie es mir ergeht, die vierundachtzigjährige Französin! Sie bestätigt recht, was neulich der Landgraf mit mir besprach, die Liebenswürdigkeit und Lebenskraft, die sich in alten Franzosen so häufig finden!“
Der Prinz von Preußen und eine kleine Rheinreise
Schon dumm, wenn das Inkognito nicht funktioniert, aber schon lustig, was man Varnhagen von Ense so alles an Geschichten zutrug:
Homburg, Montag, den 29. Juli 1844
„Der Prinz von Preußen ist gestern noch Abend gekommen, hat die empfangene Nachricht durch Königsmarck sogleich bekanntmachen lassen, dieser hat sie im Kursaal einem großen Kreise von Herren vorgelesen. Hiernach berichtigt sich manches von dem, was zuerst verlautete. Nicht auf dem Bahnhofe, sondern auf dem Schloßhofe, als eben der König und die Königin eingestiegen waren, geschah der Streich. Der Thäter ist ein abgesetzter Bürgermeister von – Storckow, glaubt‘ ich zu hören. Er schoß aus einer Doppelpistole zwei Kugeln in den Wagen hinein, deren eine den Mantel des Königs durchbohrte. Soviel als Merkmal des hiesigen Moments. Ueber die Sache selbst werden Zeitungen und öffentliche Verhandlungen ein Langes und Breites mittheilen. – Der Prinz war heute noch mit der Prinzessin am Brunnen, und ist dann abgereist. Ein Beileidsbesuch der hiesigen Preußen, den einige von ihnen verabredet hatten, ist in der Allee abgeblitzt.
Sendung des Landgrafen und der Gräfin von Naumburg.
Herr Rubens sendet mir das Extrablatt der Berliner Zeitung, über das Tagesereigniß. Bald kommt auch Königsmarck, und erzählt mir den genauen Inhalt aller Berichte, die seitdem an den Prinzen eingegangen sind. Die Angabe von der Abreise des Prinzen war ein Irrthum, er bleibt vielmehr noch einige Tage hier, damit er alle ferneren Nachrichten hier sicher aufnehmen könne; wenn erst die Königin Victoria entbunden sein wird, geht er auf vier Wochen nach England, das ist das große Geheimniß, das nun keines mehr zu sein braucht und schon längst durchzusehen war, der Prinz hat schon Einladungen vom Herzoge von Richmond, Sutherland etc. Der König hat von seiner Reise schon eigenhändig an den Prinzen geschrieben, um ihn zu beruhigen. Königsmarck erzählt mir, daß er gestern Abend im Kurhause in den schon gefüllten Speisesaal getreten sei, und dort der ganzen Gesellschaft den Inhalt sämmtlicher Berichte über das Ereigniß laut vorgelesen habe; er wollte wegen dieser freimüthigen Oeffentlichtkeit ausdrücklich von mir gelobt sein, mir gefalle dergleichen doch gewiß, meinte er.
Auf wie weniges kam es an, so wäre Königsmarck, der mit dem Prinzen und der Prinzessin ausgereist, mit dem König und der Königin heimgekehrt! Solche Gedanken drängen sich jedem auf und durchwogen heimlich die Gemüther, obschon in diese Kreise jede Andeutung dieser Art auf das sorgsamste vermieden wird. Der Prinz, als er in Bingen die Nachricht bekam, zuckte im Lesen, ließ das Blatt aus der Hand fallen, und mußte dann sehr weinen.
Königsmarck erzählt mir noch die kleine Rheinreise, von dem mißlungenen Inkognito, der Königlichen Flagge, den Kanonenschüssen, von dem Wirth in Rheinfels, der den Prinzen gleich begrüßte: „Ew. Königliche Hoheit wollen gewiß Ihre neue Besitzung besuchen?“ Ferner von Amschel von Rothschild in Frankfurt: „Esse Sie bei mir, ich hab‘ alle vornehme Leut und große Herre zu Tisch, und das ist einmal so mein Sach‘, sie müssen alle bei mir esse.“ Ich versetzte: Da sieht man recht, daß er den nicht kennt! Er weiß nur, daß der auch ein großer Herr ist, aber welcher Art das weiß er nicht! Der kehrte beim ärmsten Juden ein, aber nicht bei Rothschild!
Herr Hauptmann von Silber besucht mich und bringt mir homburgische Geschichtssachen.“
Der Prinz von Preußen und ein eingebildeter Graf
“ Der Prinz und die Prinzessin von Preußen kamen mit dem Herzog von Nassau und Prinzen Friedrich von Württemberg …“ und Varnhagen von Ense hat wieder einmal Gelegenheit eine schöne kleine Klatschgeschichte zum Besten zu geben:
Homburg, Dienstag, den 30. Juli 1844
„Botschaft des Landgrafen und der Gräfin von Naumburg, ich soll morgen Mittag um zwei Uhr bei ihm essen, der Prinz von Preußen speist bei ihm, er will mir den Wagen schicken etc. Ich verschiebe die Antwort auf morgen, – und will gern kommen, wenn ich kann!
Der Prinz von Preußen hat gegen mehrere Herren hier auf Anlaß des Ereignisses in Berlin geäußert: „Ja, ja, es muß vieles anders werden, das zeigt sich nun wohl!“
Was er damit meint, weiß niemand bestimmt anzugeben. Ich kann mir nur denken, er will damit sagen, der König sei zu liberal, zu milde, es müsse alles etwas schärfer genommen werden.
Rothschild in Frankfurt hatte in neununddreißig Stunden die Stafette aus Berlin, empfing sie mitten in der Nacht, und sandte sie gleich weiter nach Paris. Wenn er zu solchem Zweck in der Nacht geweckt wird, so muß ihm gleich zuerst eine Tasse schwarzer Kaffee gereicht werden, dann liest er die Depesche, trinkt dann ein Glas kalt Wasser nach, das ist völlig eingeführt.
Im Spielsaale den Kurfürsten von Hessen bei der Arbeit gesehen; er spielt den ganzen Tag, sitzt krumm vorgebogen auf die Karte sehend und stechend, die er in der Hand hält, und schiebt das Gold hin und her; ein widerwärtiger Anblick, der deutsche Fürst unter dem Spielervol und mit dem Golde nochmals das Blut seiner verkauften Unterthanen schnöd vergeudend! – Ich ging in’s Lesezimmer und las ein paar Zeitungen. Also Streckfuß ist in Berlin gestorben! Heine von Paris wieder in Hamburg angekommen! – Mich lassen sie nach Soden gehen!
– Im Kurgarten unterhalb der Terrasse hatten wir ein kleines Schauspiel anzusehen. Der Prinz und die Prinzessin von Preußen kamen mit dem Herzog von Nassau und Prinzen Friedrich von Württemberg langsam heran, setzten sich dann auf ein paar Bänke und mehrere Herren standen umher, oder gingen ab und zu. Der Präsidialgesandte der Bundesversammlung Graf von Münch-Bellinghausen war von Frankfurt gekommen, sprach lange mit Königsmarck, ging dann die Terrasse hinab, reckte sich, spreizte sich, setzte sich auf einen Stuhl, aber es gelang ihm nicht sich bemerkbar zu machen, der Pfau verbiß seinen Aerger und hielt sich zu Herrn und Frau von Bethmann, die auch aus Frankfurt gekommen waren; endlich erbarmte sich jemand und machte den Prinzen aufmerksam, der ließ denn den Grafen kommen, aber die Bethmann’s auch, und der Graf hielt sich nicht für genugsam ausgezeichnet. Da mußte man staunen, wie der Mann sich bücken und gleich wieder stolz grade machen konnte, ja sich hinten weit überbog! Als der Prinz und die Prinzessin nach einiger Zeit weggingen und der Graf entlassen war, zog er eben so hintenübergebogen mit grimmig-wichtigen Mienen ab. Das Ganze war höchst ergötzlich.
Ich las in der „Revue des deux mondes“ den sehr anziehenden Artikel über Benjamin Constant’s Jugend und seine Verbindung mit Madame de Charrière, nach den Mittheilungen von Herrn Gaullieur zu Lausanne.“
Varnhagen von Ense: Krank in der Kur
Es ist schon ärgerlich, wenn man ausgerechnet bei einem sommerlichen Aufenthalt in einem Kurbad wie Bad Homburg krank wird. Karl August Varnhagen von Ense ist das passiert, dennoch lässt er sich nicht unterkriegen:
Homburg, Mittwoch, den 31. Juli 1844
„Mit vielem Husten erwacht. Botschaft des Landgrafen und der Gräfin von Naumburg. Ich fasse mir ein Herz und entschuldige mich in Betreff der Mittagstafel, worauf mir leichter zu Muthe wurde!
Die Jugendbriefe Benjamin Constant’s machen mir keinen günstigen Eindruck, ich finde sie lebhaft und eifrig, aber nicht liebenswürdig, es ist kein tiefer Ernst in ihnen, keine ächte Leidenschaft, es fehöt zu beiden der Grund und Boden. Constant war ein Talent, ein sehr bedeutendes und wirksames ohne Zweifel, aber es lief seinen Weg oft ganz allein, ohne den Menschen mitzunehmen, und dieser, so gutmüthig und arglos er meist war, fühlte denn doch zeitlebens die Kälte, die überall herrscht, wo das heilige Feuer fehlt. Unwillkürlich mußt‘ ich beim Lesen der Jugendbriefe Börne’s gedenken; wie stillsinnig sind diese, wie erglüht war, wie versprechend für die Zukunft! Und Rahel’s Jugendbriefe! – Von Madame de Charrière sind kein Briefe mitgetheilt; ich wäre begierig zu sehen, was sie antwortet, wie sie das einzelne aufnimmt, beifällig oder tadelnd. Daraus könnte man urtheilen, wie es mit ihr bestellt war; ich fürchte, nicht allzu gut; Constant’s Briefe wenigstens lassen nicht ahnden, daß sie mehr angesprochen hätte, als er gab, daß sie unzufrieden gewesen wäre.“
Ein Besuch des Landgrafen bei Varnhagen von Ense
Offenbar standen sich der Landgraf von Hessen-Homburg und Varnhagen von Ense tatsächlich recht nah oder zumindest sah der Landgraf ihn als so relevanten Menschen an, dass er ihm einen Krankenbesuch abstattete:
Homburg, Donnerstag, den 1. August 1844
„Die hier anwesenden Engländer vereinigen sich, dem Prinzen von Preußen eine Glückwunschadresse wegen der Erhaltung des Königs zu überbringen. Die schon verlautbarte Absicht, England zu besuchen, wirkt hiebei wohl mit ein. Sonderbar, daß bei der gestrigen Tafel des Landgrafen das Ereigniß nicht erwähnt, und auch nicht die Gesundheit des Königs getrunken wurde. Man hört überhaupt nicht viel mehr davon reden, die Ueberfülle der Zeitungsnachrichten stumpft die Neugier ab und macht die mündliche Mittheilung zur langweiligen, jedermann hat selber schon alles gelesen. – Daß der Prinz nach England gehen wolle – das große Geheimniß – wußte man in Berlin schon allgemein.
Ich hatte mich angezogen, um auf die Terrasse zum Kaffee zu gehen, da kam Freiligrath zu Fuß von Kronthal, brachte mir seine Handschrift, zugleich sein Album, die meinige aufzunehmen. Wir sprachen viel. – Wir saßen über eine Stunde im Freien, es war kühl aber nicht rauh, und da ich mich durch Gehen noch nicht erhitzt hatte, so bekam die Luft mir gut. Freiligrath gefällt mir mehr und mehr; er ist tüchtig, klug und gutmüthig; seine Frau ist auch sehr angenehm, scharf und bestimmt, doch alles in Anmuth.
Die Zeitungen durchlaufen; Herr Pelz in Schlesien verhaftet! Das ist übel, da ist man auf schlechtem Wege! Doktor Meyen zu viermonatlicher Haft verurtheilt; auch sehr übel!
Unerwartet kommt Abends noch der Landgraf zu mir, will selber sehen wie mir geht, drückt sein bedauern auf das herzlichste aus und sagt, vor meiner Abreise müsse ich nothwendig noch die Gräfin von Naumburg sprechen, die zwar noch das Bett hüte, aber täglich nach mir frage und nach mir verlange. Wir sprachen über Custine, der Landgraf ist in Rußland viel herumgereist und gibt Custine’n in mancher Hinsicht Recht, die Trubezkoi’sche Geschichte aber, meint er, seit übertrieben und die Sache zu grell dargestellt. – Des alten Generals Custine erinnert er sich noch sehr gut, derselbe war beim Vorrücken seiner Truppen gegen die Lahn mehrere Tage in Homburg, wohnte im Erdgeschosse des Schlosses und benahm sich gegen die Mutter des Landgrafen, damalige Landgräfin, sehr rücksichtsvoll und mit den guten Manieren eines vornehmen Mannes; eines Tageskehrte er von einem Ausritt in die Gegend zurück, und ließ sich sogleich bei der Landgräfin anmelden, sie saß im Hintergrunde eines Saales beim Kamin, und der General, feierlich und pathetisch, wie er sonst nicht war, schritt auf sie zu und hielt ihr folgende Anrede: „Madame, les Pays-bas sont perdus, et l’Autrich n’a plus d’armée, la chute de l’empereur est dédicée et peut-être celle de tous les rois de l’Europe.“ Die Nachricht der Schlacht von Fleurus war eingelaufen, Die Worte machten auf den jungen Prinzen starken Eindruck, der aber dadurch sehr verwischt wurde, daß er sah, wie einer der Adjutanten des Generals, hinter demselben stehend, wiederholt die Achseln zuckte.“
Der Kurfürst von Hessen und die Spielbank von Bad Ems
Klatschgeschichten waren offenbar auch für Karl August Varnhagen von Ense nicht ganz uninteressant und er schildert sie in aller Ausführlichkeit, wechselt dann aber ganz ohne Probleme zur neuesten Politik und zur Geschichte der Hardenbergischen Reformen.
Homburg, Freitag, den 2. August 1844
„Der Kurfürst von Hessen hat in Ems an der Spielbank eine Ohrfeige gekriegt, und jedermann freut sich der Geschichte! Er hatte seinen Platz an der Spieltafel aufgegeben, und nach einer längern Zeit ein andrer Spieler ihn besetzt, da kommt der Kurfürst wieder, sieht jenen Platz besetzt, nimmt den nebenan, der grade frei ist, stößt aber jenen Spieler mit dem Ellbogen heftig an, und anstatt Entschuldigungen zu machen, blickt er dem Gestoßenen frech in’s Gesicht, dieser mißt ihn mit den Augen, und entschließt sich rasch, schlägt mit der verwendeten Hand unwillig zurück, und trifft den Kurfürsten auf die Backe. Großes Aufsehn, aber keine Einmischung! Der Kurfürst erhebt sich brummend, und geht ab, der Fremde – es soll ein Franzose gewesen sein – zieht sich auch bald zurück, und das ist das Ende der Geschichte, die überall offen erzählt wird, aber schwerlich in die Zeitungen kommt!
Gegen drei Uhr ging ich auf die Terrasse; wegen Wind und Wetter war fast niemand dort. Ich sprach im Vorbeigehen Herrn Cartwright, Frau von Bila und Gräfin von Seyssel, dann Madame Marx. – Im Lesezimmer die „Vossische Zeitung“ gelesen.
In der „Geschichte des zweiten Pariser Friedens für Deutschland, aus Aktenstücken, von Doktor A. F. H. Schaumann“ (Göttingen 1844), gelesen. Für einen deutschen Professor ein außerordentliches Werk! Durch Zerlegung der Thatsachen legt er die Hand auf einen Hauptschaden der deutschen Zustände, nämlich daß diese nur durch Oesterreich und Preußen politisch vertreten sind; er zeigt, daß das deutsche Interesse leer ausging und leer ausgehen wird, so lange nicht die Mittel- und Kleinstaaten Deutschlands eine besondere Vereinsmacht bilden; er zeigt, auch der Zollverein leiste politisch nichts, außer für Preußen. Sein Mittel, den deutschen Bund wahrhaft zu beseelen mit deutschem Interesse, ist gleichsam eine Erhebung des deutschen Kerns, den er mit preußischer und österreichischer Schale wohl verbunden lassen will, aber doch dieser scharf entgegengesetzt. Seine Darlegungen und Schlußfolgerungen sind sehr gut; in den thatsächlichen Angaben ließe sich manches berichtigen. Wo er Wilhelm von Humboldt’s Denkschrift und Ansicht auf Kosten der Hardenberg’schen lobt, beachtet oder weiß er nicht, daß Humboldt nur in Hardenberg’s Auftrag und Ansicht arbeitete, und grade jene Denkschrift auch Hardenberg’s innerste Meinung enthielt, Hardenberg aber später statt des Gewünschten auf das unter den gegebenen Umständen Erlangbare zurückgehen mußte, und daß es nur zufällig war, daß nicht ebenfalls Humboldt auch diese Denkschrift ausarbeitete, sondern Hardenberg selbst sie verfaßte. Auch Gentz wird mit Unrecht getadelt; was ihm vorgeworfen wird, das hing gar nicht von ihm ab. Auch Metternich sogar war nicht so mächtig, als es scheint, er mußte hundertmal einer Masse von Einflüssen weichen, die gar keinen bestimmten Namen führten, aber als Masse wirkten. Das Buch ist merkwürdig, weil es von einer unerwarteten Seite her, die schon ganz harmlos der Geschichte anzugehören schien, unsre heutigen Gebrechen aufdeckt.„
Besuch im Schloss von Bad Homburg
Am Samstag vor seiner Abreise besuchte Varnhagen von Ense noch einmal den Landgrafen von Hessen-Homburg auf seinem Schloss. Ein Freund hatte ihn begleitet und mit ihm gemeinsam machte er anschließend noch eine Führung durch das Schloss – dabei gab es den ein oder anderen kuriosen Fund:
Homburg, Sonnabend, den 3. August 1844
„Die Sonne scheint, aber die Luft ist herb und kalt, ich fühle im Bette den Herbstmorgen, und denke an Brennholz! Würdige Gedanken im Taunus zu Anfang des August! Aber was kann ich dafür? – Ich erwarte heute Doktor Carriere aus Gießen.
Der Prinz von Preußen ist heute früh nach Koblenz abgereist. – Gestern Abend hat sich hier ein schon bejahrter Mann erschossen, auf einem Zettel aber bemerkt, daß er nicht gespielt habe.
Ich schrieb auch an Herrn Keßler nach Frankfurt. Noch war ich nicht fertig, so kam Carriere; er hatte in Butzbach geschlafen, und den weitern Weg zu Fuß gemacht. Große Freude. Er sieht wohl aus, seine Züge sind fester geworden, man sieht ihm an, daß ihn Edles und Gutes beschäftigt. Es war halb zwölf Uhr, und ich mußte zum Landgrafen, Carriere ging derweil im Schloßgarten spaziren. Der Landgraf war von ungemeiner Freundlichkeit, durchsuchte Papiere für mich; zeigte mir das Bild seiner Gemahlin. Sie wolle mich durchaus sehen, ehe ich abreise, sagte er und ließ mich anmelden, aber es dauerte sehr lange, ehe sie mich empfangen konnte; der Landgraf erzählte mir unterdessen allerlei interessante Geschichten aus dem österreichischen Kriegsdienste, auch von seinem Bruder Friedrich Joseph, wie dieser einst mit Tettenborn, Bentheim und Wallmoden sich hat schlagen wollen. Endlich kam Botschaft von der Gräfin, und der Landgraf geleitete mich durch eine Reihe schöner Zimmer in ihre Schlafstube; sie lag zu Bette, begrüßte mich auf’s freundlichste, sprach von meiner Krankheit, von ihrer, von Oesterreich, von Mainz, von ihrem Wunsche mich zu sehen, mich künftig wiederzusehen, von ihrer Freude an allem, was sie von mir gelesen etc. Verständig, anmuthig, und sehr gesinnungsvoll. Sie reichte mir zum Abschiede die Hand, und verlangte, ich solle versprechen künftiges Jahr wiederzukommen. Herzlicher Abschied vom Landgrafen.
Um den armen Carriere für sein langes Warten etwas zu entschädigen, besah ich mit ihm das Schloß, wo manches Merkwürdige gezeigt wird. Viele Familienbildnisse, aber auch andre, der Kanzler Oxenstierna, Christine von Schweden, Peter der Große; ein Bild Georg’s des Dritten von England, aus der zeit seines Wahnsinns, mit langem Bart, mit Stern auf dem Schlafrock, es war der Landgräfin Elisabeth aus England geschickt worden, aber sie hat das Bild des wahnsinnigen Vaters nie sehen wollen, erst nach ihrem Tode wurde die Kiste aufgemacht. Alterthümer von der Königin Elisabeth von England, kostbarer Malachit, chinesische Laks, englische Bibliothek und alte Bibliothek.
Hierauf ging Carriere zum Essen, ich aß zu Hause und ruhte. Dann kam er und holte mich zum Kaffee nach der Terrasse ab. Ein kurzer Regen störte uns, dann gingen wir unter lebhaften Gesprächen im Kurgarten umher, begegneten Kessenbrinck’s, setzten uns mit denen, sprachen von Schiller, Frau von Kalb, Geothe etc. Herr von Kessenbrinck lud uns ein, mit ihnen Thee auf der Terrasse zu trinken; dort saßen wir lange, unter vielen guten Gesprächen; Carriere recht klug, gewandt und bescheiden zugleich, Cartwright setzte sich zu uns. Als es mir zu kühle wurde, standen wir auf, und gingen in den Saal. Vor demselben unerwartet Doktor Spiker aus Berlin, der von Kissingen kommt; drinnen nich unverhoffter der junge Herr von Wedekind aus Darmstadt! – Im Lesekabinet, im Spielzimmer; nachher wieder mit Carriere Arm in Arm lange Zeit auf der Terrasse, der Tag endete mit Helle, mit fernen Sonnenblicken. – Darauf ging ich nach Hause, Carriere suchte sein Unterkommen in einem Gasthofe. – Madame Marx, Geheimräthin Beer im Vorbeigehen gesprochen. Den Besuch des Hauptmanns von Silber versäumt. – Sehr ermüdet!
Die Schilderung von Gießen und von Carriere’s dortiger guter Thätigkeit gefiel mir sehr gut; ich wünsche ihm Glück, fürerst dort zu sein und nicht bei uns. Wenn er fortfährt, seine Kraft und seinen Eifer seinem schönen Berufe zu widmen, so wird er schon gedeihen, und unfehlbar zu Ruf und Ansehn gelangen, die ihm künftiges Wirken an einer großen Universität sichern. Von Hillebrand, Lutterbeck und Andern erzählt er viel Gutes; von Liebig bringt er mir eine kleine Schrift mit, in die er für mich seinen Namen eingeschrieben hat.
Der Großherzog und die Spielbank von Bad Doberan
Wohl etwa ein bis zwei Tage vor seiner Abreise notierte Varnhagen von Ense noch eine Anekdote über Großherzog Friedrich Franz von Mecklenburg, der offenbar ein begeisterter aber unerfolgreicher Spieler war:
Homburg, Sonntag, den 4. August 1844
„- Abends noch bei K.‘s zum Thee. Fernere Erzählungen von Mecklenburg. Der vorletzt Großherzog Friedrich Franz hat während seines Lebens, berechnet man, an der Spielbank von Dobberan wohl sechs Millionen Thalr verloren, die das Land aufgebracht hat. einst hatte er alles verloren, und ein Töpfermeister, der zugleich spielte, ebenfalls; das sagte der Herzog – er war noch nicht Großherzog – zu dem Töpfer: „Ja, lieber Meister, was fangen wir nun an?“ „O das ist ganz einfach“, versetzt dieser, „Ew. Durchlaucht schreiben eine Kontribution aus, und ich drehe wieder Töpfe.“
Mit diesem Eintrag enden die Berichte von Karl August Varnhagen von Ense aus Bad Homburg. Er fuhr zurück nach Berlin, wo er am 25. August „nach angestrengter Fahrt“ ankam. Offenbar hatte er noch einen kleinen Zwischenhalt in Bad Ems gemacht. Was Varnhagen von Ense dort tat und erlebte, wen er dort traf, das hat er leider nicht niedergeschrieben.
Beitragsbild:
Karl August Varnhagen von Ense, 1839, Zeichnung von Samuel Friedrich Diez
gemeinfrei via Wikimedia Commons
Texte aus:
Tagebücher. Aus dem Nachlaß Varnhagen’s von Ense.
Band 2 [enthält: 2. Januar 1842 bis 31. Dezember 1844], F. A. Brockhaus, Leipzig, 1861 MDZ München, Google.
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