Eine Bäderreise nach Bad Pyrmont im Jahr 1784
Bäderreisen, Kuren im Sommer, das war im 18. und 19. Jahrhundert die liebste Sommerbeschäftigung all derjenigen, die es sich leisten konnten. Diejenigen, die es sich leisten konnten, das waren meist die Adeligen und reichen Bürger. Bei ihnen gehörte es zum „guten Ton“ nicht, wie wir es heute kennen, in „Urlaub“ zu fahren, sondern eben eine Bäderreise zu unternehmen und so Körper und Geist etwas Gutes zu tun.
Um 1784 stand auch Bad Pyrmont ganz hoch im Kurs.
Jeder „kurte“, egal ob krank oder gesund. Ein wenig Wellness und Entspannung sind eben nie verkehrt und vorbeugen ist bekanntlich auch viel besser als heilen. Also fuhr man los – vorzugsweise in die bekannten und großen Badeorte, die neben dem heilenden Wasser auch noch reichlich Freizeitvergnügen und eine schöne Umgebung zu bieten hatten.
Zu diesen „großen Bädern“, den „Great Spas“, gehörte im 18. Jahrhundert auch Bad Pyrmont. Hier traf sich alles, was Rang und Namen hatte oder eben einfach irgendwie dazugehören wollte. Und wer war nicht alles hier … man traf den Zar, Peter den Großen (1672-1725) oder auch König Friedrich II. von Preußen (1712-1786) und viele andere gekrönte Häupter. Aber auch die Geisteswelt traf sich am „Hylligen Born“, so etwa Gottfried Wilhelm Leibniz (1646-1716) und nicht zuletzt, der in allen Bädern oft und gern gesehene Johann Wolfgang Goethe (1749-1832).
Doch wie sah so ein Kuraufenthalt in Bad Pyrmont im 18. Jahrhundert eigentlich aus? – Einen typischen Tag in Bad Pyrmont beschreibt uns Heinrich Matthias Marcard für das 1784. Und er musste es wissen als königlich großbritannischer Hofmedicus zu Hannover und Mitglied der königlich großbritannischen und königlich dänischen Gesellschaften der Ärzte und bekennender Fan von Bad Pyrmont.
Kommen Sie also mit auf eine Bäderreise nach Bad Pyrmont ins Jahr 1784:
Vom gesellschaftlichen Leben in Pyrmont –
mit einigen Seitenblicken auf das gesellschaftliche Leben überhaupt.
„Das gesellschaftliche Leben, an einem so schönen Orte auf dem Lande, in der besten Jahreszeit, bey so großem Zusammenflusse von Menschen jedes Standes, jeder Art und jeder Weltgegend, wo alles zum Vergnügen und zur Zerstreuung führt und absichtlich führen soll: kann nichts anders als großen Reitz und Annehmlichkeiten haben. Natürlicher Weise findet, in so zahlreicher Gesellschaft, ein jeder etwas für sich und seine Neigung, und macht Bekanntschaften und Entdeckungen, die ihn vielleicht sein Lebelang freuen. Es fehlt niemals, an einem so berühmten und so sehr besuchten Versammlungsorte, Personen zu finden, die entweder überhaupt merkwürdig sind [*Pyrmont hat seit wenig Jahren von den angesehensten jetztlebenden deutschen Gelehrten, Mendelssohn, Zimmermann, Möser, Brandes, Michaelis, Meiners, Pütter, Büsch, Cramer, Hirschfeld, Herder, Stollberg, Mutzell, Garve, Spalding, manchen mehr als einmal, und noch viele andere, an seiner Quelle gesehn.], oder die uns interessant vorkommen. Man sieht Bekannte aus entfernten Gegenden hier unerwartet wieder, oder hört von ihnen, oder erlebt sonst manche kleine ergötzende Begebenheiten und Vorfälle, die uns selbst oder andere betreffen, und zu allerley Art von Unterhaltung Stof hergeben. Nichts interessiert hier allgemeiner und trägt mehr zum Vergnügen bey, als die stündliche Ankunft neuer Fremden in der Höhe der Curzeit; jedermann wird neugierig bey jedem blasenden Postillon, den er hört, und denkt, er könne ihm vielleicht etwas, wo nicht Bekanntes doch sonst Angenehmes herführen.“
Von Gesellschaften, Zirkeln und der besten Reisezeit
„Wer da will, der kann an der Gesellschaft Theil nehmen, wer aber lieber für sich allein lebt, den zwingt und preßt man, an einen so großen Bade und unter so vielen Menschen, auch nicht dazu, wie in den kleinern Bädern. Man kann in Pyrmont unbemerkt neben den andern hingehn und sich um Niemand bekümmern, ohne eben für sonderbar gehalten zu werden; denn es sind hier jeden Sommer Personen, die ganz für sich allein leben, entweder weil es ihre Neigung so mit sich bringt, oder weil sie für die Gesellschaft zu krank, und daher scheu und muthlos sind.
Die verschiedenen kleinen gesellschaftlichen Cirkel, welche sich hier immer, ohne sich jedoch der größern Gesellschaft ganz zu entziehn, aus einer Anzahl Personen bilden, die sich unter einander vorzüglich gefallen und interessiren, haben viel Angenehmes, wie man das auch aus der Betrübniß über die Trennung abnehmen kann. Durch eine gewisse Absonderung werden sie vertraulicher und inniger unter einander, wie jeder Haufen, der band à part macht. Oft sah ich mit Vergnügen der innern Oeconomie der Freundschaft in solchen kleinen Cotterien zu, die sich der Kürze ihrer Dauer bewundernswürdig anmaaß. Nichts scheint ihrem Glücke zu fehlen, aber im Grunde, nichts hebt und schärft ihr Vergnügen so sehr, als daß sie ihre Endschaft so nahe vor sich sehn. Wer überhaupt an kleinern vertraulichern Gesellschaften mehr Vergnügen findet als an großen und glänzenden Versammmlungen, der würde seine Neigung in Pyrmont am besten in der Früh-Cur, im Anfang des Junius, und in der Nach-Cur, im Augustmonath, befriedigen, und nicht so gut in der Höhe der Curzeit, im Julius.“
Bad Pyrmont und der Endzweck vergnügt zu sein
„Jedermann kommt hieher, um vergnügt zu seyn, so wol diejenigen, welcher ihrer Gesundheit halber hier sind, als auch die, welche blos zur Absicht haben, die schönste Zeit im Sommer angenehm hinzubringen. Sie kehren auch mehrentheils ihre beste Seite auswärts, um zu gefallen, und Vergnügen zu nehmen, indem sie sich bemühen Vergnügen zu geben; daher zeigt sich nicht jeder zu Hause so liebenswürdig als er in Pyrmont scheint. Nirgends ist man geneigter und findet mehr Bereitwilligkeit Bekanntschaften zu machen, als in Pyrmont, weil alle ein gleiches Bedürfniß treibt; und Freundschaften stiften sich hier in eben dem Verhältnisse schnell, in welchem das Leben hier kurz ist. Alle lassen ihre ernsthaften Geschäfte und ihre Sorgen zurück, oder suchen sie doch wenigstens von sich zu entfernen und zu vergessen, damit sie heiter und froh seyn mögen; bey vielen würkt auch das Gefühl der wiederkehrenden Gesundheit nachdrücklich zur gleichen Absicht.
Der allgemeine Endzweck Aller, vergnügt zu seyn, der durch die schöne Gegend mächtig befördert wird, und auf welchen alles an diesem Lustorte abzielt, giebt immer in Pyrmont der ganzen Gesellschaft eine gute Stimmung, die von allen Seiten angenehm wiederschallt und macht, daß die Zeit hier so geschwind hinfließt, daß man sich mit Leidwesen am Ende der Cur sieht, wenn man kaum glaubt angefangen zu haben.
Eine gewisse Regelmäßigkeit, welche das Leben in Pyrmont hat, und die an einem Bade herrschen muß, wenn man nicht täglich die guten Würkungen des Wassers zerstören will, gereicht der Gesellschaftlichkeit keinesweges zum Nachtheil. Sie ist ein Lob für Pyrmont auf der einen Seite, und hat auf der andern den Nutzen, daß man allemal gewiß ist, wann und wo man seine Gesellschaft finden wird, ohne deswegen besondere Verabredungen zu treffen.“
Ein Pyrmonter Tag mit Fröhlichkeit und Wasser
„Ein Pyrmonter Tag hat seinen eigenen Gang, und ein Umriß davon wird hier nicht am unrechten Orte stehen.
Es verwandelt hier niemand Tag in Nacht und Nacht in Tag, man legt sich früh zur Ruhe und steht bey guter Zeit auf, und die Stunden des Tages haben so ziemlich ihre angewiesenen Beschäftigungen. Früh Morgens trinkt alles was Odem hat und ihn gern behalten möchte, den Brunnen, und viele Landleute, die gewohnt sind mit der Sonne aufzustehn, fangen schon um drey Uhr damit an. Dieses ist auch deswegen nöthig, weil sonst nachher das Gedränge um die Quelle gar zu groß werden würde. Schon vor sechs Uhr fängt die feine Welt an in der Allee zu erscheinen, und emsig zum Brunnen zu eilen.
Man würde Mühe haben eine gesellschaftliche Scene zu finden, die dem Auftritt in der Pyrmonter Allee, an einem schönen Morgen gleich käme. So viele Menschen, die ohne allen Zwang durcheinander hingehn, die alle einen Endzweck haben und nach einem Ziele laufen, ohne daß einer dem andern im Wege wäre; alle im nachlässigen Morgenanzug, ohne Zwang, ohne weitere Ceremonie, als daß sie sich im Vorbeygehn den guten Morgen wünschen; die ergötzt werden durch die Schönheit des Orts, erheitert durch die angenehme Music, unterhalten und aufgeweckt durch die Lebhaftigkeit und Mannigfaltigkeit, die sie umgiebt: müssen nothwendig ihre Seelen anders und höher gestimmt fühlen über den gewöhnlichen Ton. Man sieht auch wol, daß die Gesellschaftlichkeit hier höher steigt als in einer Assemblee; die Munterkeit und Frölichkeit und das feye ofne Wesen beweißt es. Aber eine Hauptursach der erhöhten Heiterkeit des Pyrmonter Morgens ist der Brunnen selbst. Nichts kann erquickender und erfrischender seyn, als das erste Glas Brunnen früh Morgens aus der Quelle nach einer warmen Nacht. [Man weiß, daß das frische Pyrmonter Wasser nicht das herbe, widerliche habe, worüber man bey andern Gesundbrunnen klagt, auch niemand im Magen beschwert, wie die meisten andern Stahlwasser; er ist ohngeachtet seiner großen Stärke sehr lieblich. Daher kennt man auch zu Pyrmont den Gebrauch der Näschereyen von überzuckertem Gewürz gar nicht, die man bey andern Brunnen nöthig hat, um den unangenehmen Geschmack und die Uebelkeiten zu vertreiben, und dem Magen gegen das Wasser beyzustehn. Dem ausserordentlichen Reichthum des Pyrmonter Wassers, an freyen und ungebundenen geistigen Wesen, ist dieser Vorzug zuzuschreiben.] Vornemlich aber hat dieses Wasser vermittelst der Menge seines geistigen Wesens, die Kraft, gleich andern geistigen Getränken, zu ermuntern und zu beleben. Daher würke der Brunnen des Morgens zu Pyrmont, was der gute Wein in der ersten Hälfte eines frölichen Abendessens thut, er zeugt Wolbefinden und Behaglichkeit; und wenn in der Folge, gegen die Zeit des Frühstücks, sich ein Rausch und Müdigkeit einfindet, so verschwindet doch dies alles wieder, so bald man das Frühstück genießt.“
Vom Brunnen trinken und Frühstücken in Bad Pyrmont
„An dieser angenehmen Scene nimmt ein jeder Theil, während er seinen Brunnen trinkt, auf welche Weise es ihm am besten gefällt; er spricht mit wem er will, und nicht länger als er Lust hat, er geht oder setzt sich auf die allenthalben im Ueberfluß befindlichen Bänke, in den Schatten, und verläßt auch zuweilen die bunte Menge in der großen Allee, um einen längern Spaziergang durch schöne Seitenanlagen zu machen und die Gegenstände abzuwechseln.
Um acht Uhr hat fast jedermann abgetrunken. Um neun Uhr sieht man an allen Enden oben in der Allee kleine Gesellschaften, die sich zusammen setzen, das Frühstück mit einander zu verzehren, wozu der Brunnen mehrentheils ein solches Verlangen erweckt, daß man kaum die vorgeschriebene Stunde damit warten kann. Gegen diese Zeit pflegt nun auch das große Frühstück anzufangen, wo in der Allee an einer langen Tafel unter dem Schatten alter Linden sich der größte Theil der besten Gesellschaft von Pyrmont beysammen niederläßt. Keinesweges aber sind hier alle beysammen, die zur guten Gesellschaft mit Recht gezählt werden müssen, so wenig als jedermann, der hier mit sitzt, deswegen auch unfehlbar zur guten Gesellschaft gehört; auf beyden Seiten finden tausend Ausnahmen statt. Manchmal kann jemand einzuladen vergessen seyn, mancher ist nicht bekannt und mag sich nicht bekannt machen; mancher mag endlich lieber für sich allein auf seinem Zimmer oder in einem Winkel mit einem Freunde Kaffee trinken, oder kann sich diesem Cirkel nicht nähern, weil er gern eine Pfeife Toback dabey raucht.“
Ein ganz normaler Vormittag auf Bäderreise in Bad Pyrmont 1784
„Eine angenehme Einrichtung ist das große Frühstück allerdings; es versammeln sich hier viele, die nachher vielleicht den ganzen Tag nicht wieder beysammen kommen; man setzt sich bey wem man Lust hat, oder steht bey wem man will; überhaupt hat diese Zusammenkunft etwas sehr fröhliches, belebtes, munteres und ungezwungenes, und man bleibt dabey im Morgenanzug so wie man früh zur Quelle gieng. Nicht wenig trägt denn auch zur Aufgeräumtheit der Gesellschaft bey, die Begierde, welche, wie gesagt, jedermann nach dem Brunnen und nach so vieler Bewegung empfindet, etwas zu geniessen, und die zu befriedigen, man hier überflüssige Mittel vor sich sieht. Eine kleine Beschwerde ist es, daß jedesmal Einer aus der Gesellschaft dieses Frühstück giebt, und die Mühe des Einladens dazu auch hat, wobey manchmal jemand übersehn wird. Vielleicht wäre es besser, wenn dieserhalb eine Art von Subscription gemacht würde. Denn aufhören müssen diese Frühstücke nicht, das wäre ein wahrer Verlust für Pyrmont.
Nach dem Frühstück spaziert man wieder in der Allee oder in den Seitenanlagen, oder besucht die Boutiquen, oder reitet oder badet, oder spielt Karten, oder thut sonst, wozu man Lust hat. Um der Mittagshitze auszuweichen, und weil doch die viele Bewegung, und der lange Aufenthalt in der Luft etwas ermüdet, begeben sich die meisten gegen Mittag in ihre Wohnung, sich auszuruhen oder sich umzukleiden, wenn sie vielleicht in Gesellschaft essen wollen. Man isset um zwölf und spätestens um ein Uhr.“
Von der Kleidung und vom Kleiderputz der Damen auf der Bäderreise
„Zwischen drey und vier fängt die Gesellschaft wieder an, sich in der Allee zu versammeln. Man ist nun angekleidet, wie man etwa in eine kleine Gesellschaft gehen würde und wie es sich für einen Landaufenthalt schickt; einige wenige ausgenommen, die gern ihre schönen Kleider zeigen mögen. Bey den meisten verwandelt sich nur die ordentliche Nachlässigkeit vom Morgen, des Nachmittags in eine nachlässige Ordnung.
Man warf zuweilen Pyrmont vor, daß der Kleiderputz bey den Damen zu sehr im Schwange sey. Und doch habe ich hier manches sehr artiges Frauenzimmer gekannt, die viele Tage hintereinander mit einem und demselben sehr einfachen Anzuge und mit dem nemlichen Hute in der Allee erschien, und darum nicht weniger gesucht und geehrt war.
Ich weiß wol, daß es ein gefährliches Unternehmen für mich seyn würde, dem Frauenzimmer zwischen den Putz zu kommen. Aber so viel darf ich doch wol sagen, daß es lächerlich wäre, wenn man sich einem Bade, auf dem Lande, kleiden wollte, als wenn es zum Galla gienge. Man wendet freylich ein, Pyrmont sey zugleich Hof, Stadt und Land, aber in Absicht auf den Anzug sollte man immer mehr an das Land und Bad als an Stadt und Hof denken, und die Vernünftigen thun es auch. Diejenigen, welche nicht zur Cur sondern bloß zum Vergnügen hier sind, möchten für sich selbst allenfalls thun was sie wollten; aber den Curgästen wäre ein solcher Anzug gewiß nachtheilig, und daher sollten es jene des Beyspiels wegen unterlassen; denn wenig Frauenzimmer sind fest und stark genug, hierin andern nachzustehn, wenn auf weiter nichts als nur auf die Gesundheit Rücksicht zu nehmen ist. Viele Stunden aber täglich am Nachttisch zuzubringen, wie es der heutige Kopfputz fordert, und denn das abscheuliche Einschnüren des Leibes, das nun wieder Mode wird, das die Därme halb in die Brust und halb ins Becken preßt, die schöne Form des menschlichen Leibes verschimpft und wespenähnliche Gestalten daraus bildet: dieses sind Dinge, die niemals der Gesundheit zuträglich sind, und am wenigsten bey einer Brunnencur. Doch dies alles sage ich nur vom übermässigen Putzen, und vom eigentlichen Kleiderprunk, der würklich in Pyrmont auch gar nicht Sitte ist, der auch den bey der Cur so nöthigen und heilsamen Bewegungen hinderlich ist, weil man im steifen Anzug, wegen der Unbequemlichkeit weiblicher Kleidung, unmöglich viel gehen kann. Einige mal während der Cur, gewöhnlich etwa am Sonntage, pflegt der Anzug völliger zu seyn, damit die schönen Sachen, die man mitgebracht hat, doch auch zu Gesichte kommen. Ueberhaupt ist der Putz ein so wichtiger Zweig des Vergnügens in dem Leben eines Frauenzimmers, daß kein Arzt ihnen wider einen mässig zierlichen Anzug reden muß, wenn die Cur gesegnet seyn soll; es wird auch manche leere Viertelstunde damit ausgefüllt, die man allemal hat, wenn man nicht lesen oder schreiben darf.“
Ein Abend in Bad Pyrmont 1784 – zwischen Landpartien und Hazardspielen
„Man weiß schon aus den vorhergehenden Capiteln ziemlich, wie der Ueberrest des Tags in Pyrmont verstreicht, Spazierengehn, Ausfahren, Comödien, Concerte, Bälle, das Abendessen, die Lustbarkeiten der Allee, und die späten Promenaden des Abends, bey denen aber die Brunnengäste wegen Verkältungen in kühler feuchter Abendluft nach heissen Tagen, vorsichtig seyn müssen, füllt, nebst manchen andern Dingen, den Rest des Tags aus. In einigen Sommern sind die kleinen Landparthieen, die Ausfahrten und überhaupt die weiten Spaziergänge mehr im Schwange gewesen als in andern; und ich wünsche herzlich, zum Besten der Gesundheit und des Vergnügens der Gesellschaft, daß sie immer mehr aufkommen mögen. Manchmal bleibt ein ziemlich großer Cirkel von Frauenzimmer und Herren in der Allee oder in dem Ballhause, welches zu einer aufgeweckten Conversation Gelegenheit giebt. Zuweilen hat sich auch nachmittags eine Gesellschaft zusammen gethan, sich an einen einsamen Ort begeben, und einer aus ihnen hat ein merkwürdiges Product der Literatur darin vorgelesen.
Das Spiel ist für viele, dies es lieben, in Pyrmont eine gute Zuflucht, und Gelegenheit ist dazu genug: denn man hat die Wahl unter zwey großen privilegirten Pharo-Bänken, denen jedermann den Ruhm der größten Regelmässigkeit giebt; der übrigen nicht zu gedenken, Die Zeit dazu ist Vormittags nach dem Frühstück, gegen Abend, und zuweilen noch nach dem Abendessen, aber nur selten für einige Nachtvögel spät in die Nacht hinein. Die große Mässigung, womit die Hazardspiele im Ganzen hier getrieben werden, zeigen deutlich, daß das Bedürfniß dafür nicht sehr dringend sey. Man hat würklich in Pyrmont genug andere Wege sich zu vergnügen und der Langenweile auszuweichen; daher wird hier Niemand zum Spiel gezwungen, wie an andern solchen Orten, und daher wird man in Pyrmont niemals von solchen Gräueln des Spiels hören, wie jetzt bekanntlich an irgend einem andern großen Bade. –
Zu dem kleinern gesellschaftlichen Kartenspiel findet Jedermann hinreichende Gelegenheit.
Visiten in den Wohnungen zu geben, ist in Pyrmont gar nicht gebräuchlich, nur besonders vertraute Bekannte besuchen sich einander auf ihren Zimmern, und da fallen denn natürlicherweise alle Formalitäten weg. Auch die Visiten-Karte, die man sich an andern Bädern bringt und schickt, und die allemal das erste Losungszeichen der herrschenden Etiquette und ihres Gefolges von Zwang und Pflichten sind, kennt man in Pyrmont gar nicht; und ich wünsche sehr, daß es niemals einen ceremonieusen Assembleengeiste gelingen möge, solche Dinge hier einzuführen.
Dieses wäre also ohngefehr das Gemählde eines Tages von Pyrmont. Man sieht leicht heraus, daß nicht viel leere Zeit übrig bleibe; daher werden auch wol die meisten Correspondenzen von Pyrmont ab ziemlich schlecht besorgt, zu denen man sonst pflegt die Zeit kurz vor dem Mittagessen zu wählen.“[1]
[1] Heinrich Matthias Marcard: Beschreibung von Pyrmont, Erster Band, Leipzig 1784, S. 51-65.
Beitragsbild:
Souvenirblatt aus Bad Pyrmont, 18. Jahrhundert – gemeinfrei